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Erzbischof Teodosie von Tomis / Hermann Schoenauer / Jürgen Henkel (Hrsg.): „Alle Diakonie geht vom Altar aus"

1. Mai 2009

Theologie und Praxis der Diakonie im ökumenischen Dialog

Rezensent: Wolfram Göll, München / Schwabach (aus: SÜDOSTEUROPA Mitteilungen, Heft 05/2009)

Die Diakonie gilt in allen Kirchen neben dem Gottesdienst als ein wichtiger Wesensvollzug der Kirche. Zugleich gibt es unterschiedliche Modelle und Traditionen der kirchlichen Sozialarbeit. Der orthodoxen Kirche in Südosteuropa wie in Russland wird dabei oft vorgeworfen, diesen Bereich kirchlichen Handelns in Theorie und Praxis weitgehend zu vernachlässigen. Das vorliegende Buch bietet nun erstmals eine vergleichende systematische Darstellung der Diakonie im kirchlichen Selbstverständnis und in der Praxis zwischen der evangelischen Kirche in Deutschland und der orthodoxen Kirche am Beispiel Rumäniens.

Gerade im Rahmen des Transformationsprozesses seit 1990 sind viele soziale Brennpunkte in Rumänien entstanden, auf die vor allem kirchliche und freie Wohlfahrtsträger mit diakonischen Aktivitäten und Projekten reagieren. Der Band versammelt renommierte Autoren der Evangelischen Kirche aus Deutschland und der Rumänischen Orthodoxen Kirche. Herausgeber sind der Rektor der Diakonie Neuendettelsau, Pfarrer Hermann Schoenauer, der orthodoxe Erzbischof Teodosie von Tomis (Konstanza) in der rumänischen Dobrudscha, der zugleich Professor und Dekan an der Orthodoxen Fakultät der Ovidius-Universität Konstanza ist, sowie der evangelische Theologe und frühere Leiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (EAS), Pfarrer Dr. Jürgen Henkel.

Das Buch bietet einen vergleichenden Überblick zu den Begründungen und Ausformungen der Diakonie in beiden Kirchen. Wichtige rumänische Bischöfe wie der orthodoxe Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa, Erzbischof Teodosie selbst und Sozialbischof Vasile vom Bistum Vad, Feleac und Cluj (Klausenburg) äußern sich ebenso wie renommierte Kirchenhistoriker, Neutestamentler und Diakoniewissenschaftler sowie im Sozialbereich tätige Experten aus beiden Kirchen. Die Diakonie wird als gesellschaftlicher Auftrag, als „gelebte Praxis des Evangeliums" verstanden und beschrieben, die jedoch an den Altar und die gottesdienstliche Versammlung der Gemeinde zurückgekoppelt bleiben muss. Die berühmte Aussage von Wilhelm Löhe, wonach „alle Diakonie vom Altar ausgeht", erweist sich dabei als eine hilfreiche und wesentliche Grundlage für die Übereinstimmung zwischen evangelischer Diakonie und orthodoxer „Philanthropie", wie mehrere Autoren des Bandes unterstreichen.

Das Buch zeigt, dass die Orthodoxie südosteuropäischer Prägung diakonisches Handeln ähnlich begründet wie die evangelische Kirche in Deutschland. Die theologischen und biblischen Grundlagen der Diakonie werden aus der Sicht der jeweiligen Kirche dargestellt und ihre historische Entwicklung in beiden Kirchen beschrieben. Besonders spannend sind die Ausführungen zum Wiederaufbau der kirchlichen Diakonie in der orthodoxen Kirche Rumäniens nach 1989, weil bis zur Wende der Kirche jegliche öffentliche oder institutionelle Sozialarbeit verboten war. Es ist interessant zu beobachten, wie viel die Rumänische Orthodoxe Kirche an diakonischen Einrichtungen nach 1990 wieder aufbauen konnte und welche Konzepte dahinter stehen. Auch wird deutlich, wie unterschiedlich die Finanzierung ist, denn der Staat unterstützt in Rumänien die kirchliche Sozialarbeit fast überhaupt nicht und ein funktionierendes Versicherungssystem zu einer Umlagenfinanzierung nach deutschem Vorbild existiert noch nicht wirklich.

Dafür hat die Rumänische Orthodoxe Kirche ihre diakonischen Strukturen wesentlich ausgebaut und professionalisiert, wie die Bischöfe und Daniel Benga, Kirchenhistoriker und Prodekan der Orthodoxen Fakultät in Bukarest, berichten. Heute gibt es zahlreiche Sozialeinrichtungen der Orthodoxen Kirche in allen rumänischen Bistümern und auch einzelnen Kirchengemeinden. Auf Bistumsebene gibt es eine Sozialabteilung, welche die Aktivitäten koordiniert. An elf der fünfzehn theologischen Fakultäten wird Sozialassistenz angeboten – ein eigenständiger Studiengang vergleichbar mit Sozialpädagogik und Diakoniewissenschaften, der zur Arbeit in kirchlichen und anderen Sozialeinrichtungen ausbildet. Von Armenküchen und Altenheimen, Kinderbetreuung für Kinder aus sozial schwachen Familien und Gratisapotheken bis zu eigenen kirchlichen Krankenhäusern und mehreren Betreuungsprojekten für Aids-Kranke reicht das Spektrum der orthodoxen Sozialarbeit heute. Der durchgehend zweisprachige Band dokumentiert auch das Sozialstatut der Rumänischen Orthodoxen Kirche vollständig im Wortlaut, das die Sozialarbeit der Kirche regelt und die institutionellen Voraussetzungen klärt.

Rektor Hermann Schoenauer plädiert in seinem Beitrag für einen starken Sozialstaat auchim künftigen Europa und entwickelt ein europäisches Sozialmodell. Jürgen Henkel benennt in seinem engagierten Aufsatz „Soziale Schieflagen als Herausforderung für kirchliche Sozialarbeit im Ländervergleich zwischen Rumänien und Deutschland". Er plädiert für eine Kirche, die sich einmischt und soziale Missstände scharf kritisiert, gleichzeitig aber mit ihrer Diakonie sozialen Problemen auch praktisch entgegenwirkt, hehren Worten also Taten folgen lässt.

Der Band dokumentiert eine Tagung zum Thema vom April 2008 in Neuendettelsau, welche die Diakonie in Kooperation mit dem orthodoxen Erzbistum Tomis aus Rumänien und der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (EAS) damals veranstaltet hat. Das Buch ist reich bebildert. Die Fotos zeigen Stationen der 2007 geschlossenen Sozialpartnerschaft zwischen der Diakonie Neuendettelsau und dem orthodoxen Erzbistum sowie Eindrücke von der Tagung selbst. Es ist ein spannendes Buch entstanden für an der Orthodoxie sowie auch an der Sozialarbeit der Kirchen in Südosteuropa interessierte Leser. Sämtliche Beiträge sind zweisprachig. Der Band bietet einen wichtigen Brückenschlag zwischen evangelischer und orthodoxer Kirche im Bereich von Diakonie und kirchlicher Sozialarbeit und räumt mit einigen Vorurteilen über die orthodoxe Kirche auf.

Hermannstadt/Sibiu und Bonn: Schiller-Verlag 2008 (= ACADEMIA / Veröffentlichungen der Evangelischen Akademie Siebenbürgen, Bd. X), 370 Seiten, zahlreiche Abbildungen

weiterführende Links


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