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VAN DER LEEDEN, Birgit: Rumänien – armes reiches Land

28. Juni 2022

Rezension

VAN DER LEEDEN, Birgit: Rumänien – armes reiches Land. Schiller Verlag Bonn-Hermannstadt 2022 (295 Seiten mit 246 Fotos und 1 Karte; Preis: Lei 99 / € 24,80) (ISBN 978-3-949583-05-6)
Rezensent: Dr. Wilfried Heller

Bei dem Buch von Birgit van der Leeden, die bisher nicht durch Publikationen über Rumänien aufgefallen ist, handelt es sich um weit mehr als um ein Reisehandbuch. Denn das Buch stellt darüber hinaus ein landeskundlich umfassendes und ganzheitlich orientiertes Werk dar, das sich stützt auf sorgfältig recherchierte Beobachtungen der Autorin und auf umsichtige Auswertungen von Informationen über das vielschichtige und geradezu paradoxe Land, und zwar von Informationen, die gewonnen wurden aus bereits vorhandener Literatur über Rumänien, aus Statistiken, aus Berichten in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Quellen.

Die Autorin erschließt das Land auf eine vielseitige Weise, indem sie in den einzelnen Kapiteln des Buches den Reichtum Rumäniens an Natur und Kultur darstellt und dabei aber auch die ökonomischen, politischen und sozialen Probleme beleuchtet. Viele der in den Kapiteln verbal angesprochenen Inhalte werden durch zahlreiche Fotos veranschaulicht.

Im 1. Kapitel des Buches (Kontrastreicher Naturraum besonderer Schönheit) werden die naturräumliche Gliederung, das Klima sowie die Pflanzen- und die Tierwelt behandelt. Dabei wird die Vielfalt der Landschaften (Gebirge, Hügelländer, Ebenen) auch unter Berücksichtigung der Bodenschätze, der Bodengüte für die landwirtschaftliche Nutzung und der hydrographischen Verhältnisse beschrieben.

Das 2. Kapitel ist der Entwicklung von Städten und ländlichen Räumen gewidmet, wobei die Bedeutung des Naturraumes für diese Entwicklung berücksichtigt wird. Die Ausführungen werden regional differenziert nach Nordrumänien (Bukowina und Maramuresch), Siebenbürgen, dem Osten und Südosten (einschließlich Donaudelta), dem Metropolraum Bukarest sowie dem südlichen Donauraum (Muntenien), dem Südwesten (Oltenien) und dem Westen (Banat und nördlich angrenzende Gebiete).

Das 3. Kapitel befasst sich mit den Lebensbedingungen der Wohnbevölkerung. Eingeführt wird in dieses Kapitel mit Beobachtungen über die teilweise sehr problematischen Einkommensverhältnisse, über die tatsächliche und die zugeschriebene Mentalität der Bevölkerung sowie über Vorurteile dem Land gegenüber. Es folgen dann Ausführungen zu den Themen Freizeit und Familie, zu den räumlich unterschiedlichen Engpässen der Versorgung, zur gesundheitlichen Versorgung sowie zur Kriminalität und Sicherheit.

Im 4. Kapitel werden Abwanderung und Arbeitsmigration analysiert. Das sind die sozialen Hauptprobleme des Landes spätestens seit der politischen Wende um 1990. Bei der Abwanderung bzw. Auswanderung handelt es sich vor allem um die Aussiedlung Rumäniendeutscher (hauptsächlich nach Deutschland) und um die Arbeitsmigration – eine Form der Armutswanderung – insbesondere nach Spanien und Italien, etwas weniger nach Deutschland.

Im 5. Kapitel wird die Geschichte des Landes seit der Zeit der Daker bis zum heutigen rumänischen Staat skizziert, und zwar nach den großen Regionen des Landes. Dabei wird eingegangen auf die politischen und militärischen Mächte sowie auf die zahlreichen Ethnien und Volksgruppen, die in der Geschichte des Landes eine Rolle spielten. Wegen seiner bewegten Geschichte lässt sich Rumänien – wie auch Südosteuropa insgesamt – als ein Übergangs- und Durchzugsgebiet kennzeichnen. Besondere Beachtung erfährt in diesem Kapitel die Zeit seit der Bildung des rumänischen Staates nach dem 1. Weltkrieg bis zur Ära des sozialistischen Diktators Ceauşescus und zur heutigen parlamentarischen Demokratie, die immer noch stark von Nachwirkungen der Ceauşescu-Zeit geprägt ist.

So geht die Autorin folgerichtig im 6. Kapitel der Frage nach, wie es weitergehen soll mit Rumänien (Quo vadis, România?). Unter den größten Problemen des Landes wird dabei der Fokus auf die Korruption gelegt. Die Autorin arbeitet die Verwirrungen in der Entwicklung der politischen Parteien und der Verwaltung sowie die oft widersprüchlichen Maßnahmen und Entscheidungen hoher und höchster Amtsträger heraus.

Gegenstand des 7. Kapitels ist Rumänien als multiethnischer Großraum. Dabei liegen die Schwerpunkte der Darstellungen auf Geschichte und Gegenwart der Roma-Minderheiten, der Ungarn und Szekler, der Deutschen und der Juden.

Im 8. Kapitel konzentriert sich die Autorin auf die Wirtschaft. Typisch für Rumänien sei ein Nebeneinander von antiquierten und modernen, zurückgebliebenen und neuen, fortschrittlichen Bereichen und Sachverhalten. Die Aufmerksamkeit der Leserschaft wird besonders auf das regional disparitäre Wachstum der Wirtschaft sowie auch auf Abhängigkeiten Rumäniens vom Ausland (von Deutschland, Ungarn, Österreich, den Niederlanden und anderen Ländern) gelenkt. Das naturgegebene wirtschaftliche Potenzial des Landes wird gut verständlich beschrieben, und zwar gegliedert nach den großen Wirtschaftssektoren Landwirtschaft, Bergbau, Industrie und Handwerk, Handel und Öffentlicher Dienst. Speziell wird auf den Tourismus als wichtiges Standbein des Dienstleistungssektors eingegangen. Die Probleme des Massentourismus, der die Ursprünglichkeit und die Besonderheit von Natur und Kultur zerstören kann, werden deutlich angesprochen. Interessenkonflikte werden benannt.

Im 9. Kapitel geht es um die sehr problematischen Verkehrsverhältnisse des Landes, die differenziert werden nach den Netzen der Straßen und der Eisenbahn, den Flugverbindungen, den Donaubrücken und dem Fährverkehr, dem öffentlichen Nahverkehr und dem Fahrradverkehr sowie dem Verhalten von Fußgängern. Was den Bau neuer Autobahnen betrifft, so befürchtet die Autorin zu Recht, dass dadurch das Stadt-Land-Gefälle vergrößert werden kann, weil dadurch viele Orte vom Verkehr nicht mehr berührt werden.

Unter der Frage Erwachendes Umweltbewusstsein? Beschäftigt sich die Autorin im 10. Kapitel mit Umweltproblemen, vor allem mit der Luft- und Gewässerverschmutzung, mit dem Einsatz veralteter Techniken im Bergbau und den Protestaktionen dagegen sowie mit illegaler Abholzung und der Rolle ausländischer Firmen und einheimischer Personen und Gruppen, die davon profitieren. Es werden aber auch hoffnungsvolle Projekte des Naturschutzes angesprochen wie die Einrichtung eines Nationalparks im Gebiet des Piatra Craiului (Königsstein), des größten Nationalparks in Europa.

Allseits werde in Rumänien das Bildungswesen beklagt, so äußert sich die Autorin im 11. Kapitel, in dem sie das Schulwesen, die Hochschulausbildung und die berufliche Bildung differenziert analysiert und charakterisiert.

Themen des abschließenden 12. Kapitels sind die im Allgemeinen starken religiösen Bindungen der rumänischen Bevölkerung, die Bedeutung von Ritualen sowie die Koch- und Handwerkskunst.

In einem umfangreichen Anhang werden Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur vorgestellt, d. h. aus Literatur, Theater und Film, Musik und Bildender Kunst. Viele Hintergrundinformationen ermöglichen auch hier eine spannende Lektüre.

Eine Art Zusammenfassung des ganzen Buches gibt die Autorin in einem im März 2022 verfassten Nachwort. Die letzten Seiten des Buches enthalten 1. eine Liste mit Ortsnamen, für die es neben der rumänischen auch die deutsche und ungarische Bezeichnung gibt, 2. ein Verzeichnis benutzter Quellen und Literatur und 3. eine Karte Rumäniens, in der Regionen, Orte und Sehenswürdigkeiten genannt sind, die im Buch vorkommen.

Es ist sicherlich sehr verdienstvoll, dass als Belege für Aussagen im Buch neben dem Literatur- und Quellenverzeichnis mehr oder weniger zahlreiche Fußnoten in allen zwölf Kapiteln und auch im Anhang enthalten sind. In den Fußnoten werden Aussagen des laufenden Textes durch Hinweise auf Literatur, Statistiken und andere Quellen belegt bzw. durch kurze Erläuterungen verdeutlicht. Unverständlich ist jedoch, dass etwa 60 dieser Hinweise keine Erwähnung im Verzeichnis von Quellen und Literatur finden. Die Hinweise sind leider auch nicht immer formal komplett und nach den üblichen Regeln gestaltet. Trotzdem kann das Buch als ein populärwissenschaftliches Sachbuch mit wirklich guten Überblicken über die wichtigsten landeskundlichen Themen sehr nachdrücklich empfohlen werden. Es kann auch als eine einfühlsame Werbung für einen Besuch Rumäniens betrachtet werden.

weiterführende Links


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