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Siebenbürgisches Bildgedächtnis

14. November 2012


Jenseits des Verschwindens


Plakat anlässlich der Ausstellungseröffnung im Hermannstädter Teutsch-Haus im November 2012

Ausstellung im Teutsch-Haus zeigt Fotos aus dem Nachlass der Brüder Emil und Josef Fischer

Rund 40 Besucher kamen zur Eröffnung der Ausstellung, die von Erika Klemm musikalisch untermalt wurde.

Hermannstadt - Dass da auf dem Dachboden des Michelsberger Pfarrhauses zahlreiche Filmrollen, Fotografien und Glasplatten in Kisten, Schachteln und Alben verstaut lagerten, wussten wohl einige Mitglieder der evangelischen Gemeinde. Um was für einen historischen Schatz es sich handelte, war den Findern der 12.000 Fotografien und Negative anfangs allerdings nicht bewusst. 2009 war es, als Ortspfarrer Dr. Stefan Cosoroabă den Fund barg und dem Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien zur Aufbewahrung übergab. Erst hier entdeckte man, dass das fotografische Material den Hermannstädter Fotografen Emil und Josef Fischer zuzuschreiben war, und nicht nur...

Ein winziger Teil des riesigen Fundus – nämlich insgesamt 50 Fotografien – sind seit vergangenem Samstag im Terrassensaal des Hermannstädter Kultur- und Begegnungszentrums „Friedrich Teutsch" zu sehen. „Jenseits des Verschwindens. Aus dem fotografischen Nachlass der Gebrüder Fischer, Hermannstadt/Sibiu" lautet der Titel der Ausstellung. Die Konzeption verantwortete Kurator Christian Lindhorst, der die Auswahl mit dem Blick des außenstehenden Kulturwissenschaftlers traf. Bei der Zuordnung der Bilder zu den Fotografen sowie die Einordnung der Motive erhielt er Unterstützung von dem Hermannstädter Architekten und Fotografen Hermann Balthes sowie Konrad Klein, einem Kenner der siebenbürgischen Fotogeschichte.

Diese erste Ausstellung solle die Menschen neugierig machen, meinte Lindhorst. Drei Viertel der in Originalgröße reproduzierten Bilder stammen von Josef „Pepi" Fischer (1898-1985). Gezeigt werden einige Aufnahmen von den zahlreichen Karpatenwanderungen, des auch als Bergfotografen bekannten J. Fischer. Bei einigen drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Motive unnötig wiederholen, z. B. angesichts von vier Bergkreuzmotiven. Unbedingt sehenswert dagegen ist der Hechtsprung von Tilde Engber übers Pferd, das Faschingsfest im Skilager, die Aufnahme des Kulturhauses in Viktoriastadt/Oraşul Victoria oder die Badeanstalt am Alt-Fluss/Olt.

Der Titel der Ausstellung ist ein wenig irreführend, wie Lindhorst einräumte. Von Emil Fischer (1873-1965) gibt es in der Ausstellung kein einziges Foto, da auch im Nachlass nur sehr wenige Fotos von ihm enthalten sind. Dagegen fanden sich bei der Inventarisierung rund 300 Aufnahmen von Oskar Pastior sen., dem Vater des bekannten Lyrikers Oskar Pastior. Dessen Fotos zeichnen sich laut Lindhorst durch eine besondere „dokumentarische und ästhetische Qualität" aus. Von Pastior stammen Aufnahmen des Agnethler Urzellaufs sowie eindrucksvolle Porträts, wie die eines Stolzenburger Mädchens in Sommertracht, eines Roma-Mädchens in Festtagskleidung oder vom Töpfermarkt in Hermannstadt/Sibiu.

Gerade von Emil Fischer hätte man sich aber doch einige Aufnahmen gewünscht, nicht zuletzt, da Lindhorst im Katalog die im Nachlass enthaltenen zeithistorisch-dokumentarischen Arbeiten E. Fischers würdigt, beispielsweise aus der „Gruppe von Fotos mit Sonderstatus", die offizielle Anlässe um 1939 mit Bischof Viktor Glondys thematisieren. Konrad Klein meinte in seiner Ansprache, er hätte sich eine repräsentativere Auswahl vorgestellt, aber die narrative Symbolik der ausgestellten Fotografien gibt dennoch „den einen oder anderen Denkanstoß über ein Jahrhundert voller Irrungen und Wirrungen".
Die als Wanderausstellung konzipierte Schau bleibt bis zum 28. Februar 2013 geöffnet. Sie ist das Ergebnis eines unter dem früheren Leiter des Teutsch-Hauses, Dr. Wolfram Theilemann, ausgearbeiteten Projekts zur Aufarbeitung des Fischer-Nachlasses, berichtete die amtierende Leiterin Gerhild Rudolf. Finanziell unterstützt wurde das Projekt von der Edith-Haberland-Wagner Stiftung. Die archivarische Erschließung des Materials bewältigte die Archivarin Julia Moldenhawer zwischen Oktober 2011 und September dieses Jahres.

Einen lesenswerten Beitrag von Konrad Klein über diesen Teil des siebenbürgischen Bildgedächtnisses findet sich im Ausstellungskatalog, der im Schiller-Verlag erschien. Angereichert ist der Text mit weiteren Fotos aus dem Nachlass sowie der Privatsammlung von Klein. Es bleibt zu hoffen, dass der Nachlass zu weiterer wissenschaftlicher Beschäftigung anregt und Teile von ihm der Öffentlichkeit über Ausstellungen oder Bildbände zugänglich gemacht werden.

Von Holger Wermke, aus der ADZ vom Mittwoch, 14. November 2012

weiterführende Links


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