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Tartlau. Die sächsische Gemeinde im äußersten Südosten Siebenbürgens

Tartlau. Die sächsische Gemeinde im äußersten Südosten Siebenbürgens von 9. Tartlauer Nachbarschaft
Tuerteln menj, am Burzenlond

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Kategorie: Bücher
Seiten / Format: 559 Seiten, 952 nummerierte, insgesamt 1117 Abbildungen; gebundene Ausgabe
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Neunte Tartlauer Nachbarschaft
Sprache: Deutsch
ISBN: 9783000732935

mit einem Vorwort von Dr. Harald Roth

Zugegeben, ich kannte weder das Wort „Widerschlachtejen" noch die Lokalisierung dieser Menschen dort, „wo die Welt mit Brettern zugeschlagen ist". Ich wusste auch nicht, warum ausgerechnet eine Neunte Tartlauer Nachbarschaft dieses Buch herausgegeben hat. Bereits der Umschlagtext der Ortsmonographie von Tartlau, der großen sächsischen Marktgemeinde „im äußersten Südosten Siebenbürgens", weckt Neugierde und Sympathie, nicht zuletzt wegen seiner unschlagbaren Selbstironie.
„Tuerteln menj, am Burzenlond", der zweite Untertitel dieser lesenswerten Fleißarbeit, vermittelt etwas von dem Klang der Tartlauer Mundart, die im Buch ausführlich beschrieben wird und zu Wort kommt. Dass sie für den Fremden nicht „wohllautend und bezaubernd" klinge, wird zugegeben, jedoch ist sie, Johannes Reicharts Feststellung von 1898 zitierend, „eine echte rechte Bauernsprache", in der „unendliche Schätze des Gemütes" geborgen sind (S. 69).

Wie Volkmar Kirres, der Initiator dieses Werks, in seinem Geleitwort mitteilt, hat „ein Team von sieben Hobbyautoren" innerhalb von fünf Jahren (2017-2022) ein Mammutprojekt umgesetzt, nämlich „die bedeutendsten Aspekte des kirchlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens der sächsischen Tartlauer in einem Werk zu bündeln". Es wurden zahlreiche Bücher gewälzt, um den allgemeinen historischen Rahmen abzustecken, Quelleneditionen studiert, um Informationen über den Ort und seine Bewohner zu finden, sonstige Beiträge gelesen, um das zusammenzufassen, was bereits über diese Burzenländer Gemeinde geschrieben worden ist. Es wurde das Kirchenarchiv Tartlau durchforstet und ausgewertet, in dem handschriftliche Ortschroniken, Berichte, amtliche Aufzeichnungen, Matrikeln, Presbyterialprotokolle, Gedenkbücher und vieles mehr aufbewahrt werden, alles aufgeführt im Anhang 10 „Quellenverzeichnis". Kirres spricht auch die „Gratwanderung für uns als Hobbyautoren" an, zwischen dem Wunsch, ein „möglichst ‚wissenschaftliches', tatsachenorientiertes Werk" vorzulegen und trotzdem mit dieser „Hommage an unsere Heimatgemeinde und deren Bewohner" einen möglichst breiten Leserkreis anzusprechen.

Der Aufwand hat sich gelohnt, es ist gelungen, „nicht nur eine Dokumentation eigener Geschichtsjahrhunderte zu stemmen, sondern zugleich einen belastbaren Baustein gesamtsiebenbürgischer Landeskunde", wie Dr. Harald Roth den Autorinnen und Autoren dieser Ortsmonographie in seinem Vorwort bescheinigt. Da die Namen dieser Verfasser erst ganz am Ende des Buches zu finden sind, seien sie hier samt den von ihnen (mit)geschriebenen Kapiteln in alphabetischer Reihenfolge genannt: Heidrun Batschi (10, 11), Werner Bruss (7), Volkmar Kirres (1, 3, 4, 5, 8, 13, Anhang), Hannelore Schuster (7, 9, 11, Anhang), Diethild Tontsch (2, 5, 10, 12, 14, Anhang), Georg Tontsch (2, 3), Dr. Ionela Zaharia-Schintler (6, 8). Vier Frauen also und drei Männer. Sechs gehören der Generation der heute rund Sechzigjährigen an (geboren zwischen 1957 und 1960), eine ist erst 35 Jahre alt. Drei hatten den Lehrerberuf ergriffen, mussten sich aber nach ihrer Aussiedlung zu Fachleuten in anderen Berufen umschulen und sind inzwischen im IT- bzw. administrativen Bereich tätig, drei sind Diplomingenieure, eine ist Historikerin. Verbunden hat sie „die Ehrfurcht vor der Leistung unserer Vorfahren" (Geleitwort), der Wunsch, diese ihren Landsleuten und einer möglichst breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die gute Zusammenarbeit wurde durch die Nutzung der neuen Medien und die Digitalisierung erleichtert.

Die Ortsmonographie von Tartlau ist also in vierzehn Kapitel eingeteilt, in denen die wichtigsten Aspekte der geografischen Bedingungen, der politischen, demographischen, administrativen, wirtschaftlichen, kirchlichen und kulturellen Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte, der Baugeschichte (insbesondere der einzigartigen, zum UNESCO-Weltkulturerbe auserwählten Kirchenburg, aber auch der orthodoxen Kirchen und der Wohnhäuser der Sachsen, Rumänen und Roma), des Schulwesens, des Brauchtums, der Tracht, der Mundart, des Vereinswesens, der Nachbarschaften, des Sports sowie die „Tartlauer in aller Welt" detailreich vor- und dargestellt werden. Das letzte Kapitel enthält 29 ebenso informative wie emotional berührende „Erinnerungen und Begebenheiten", Gedichte, Sagen und Ortsgeschichten. Ein umfangreicher Anhang bietet Zeittafeln, Listen von Amtsträgern und Lehrenden, Einwohnerverzeichnisse und Listen von Auswanderern in die USA, von Gefallenen, Deportierten und Zwangsevakuierten, von örtlichen Gewerbe- und Industriebetrieben, Wörter und Redewendungen in Tartlauer Mundart, Verzeichnisse von Tabellen, Abbildungen, Quellen und Literatur sowie einen Ortsplan mit Erläuterungen. Herausgeberin des Buches ist die 9. Tartlauer Nachbarschaft, die die Tradition der acht Nachbarschaften fortführt, die es in Tartlau gab, und sich deshalb als neunte bezeichnet.

Jede Leserin, jeder Leser kann aus dieser auf 559 Seiten ausgebreiteten Fülle an Informationen jene auswählen, die sie/ihn besonders interessieren, darin auf der Suche nach und dem Finden von zuverlässigen, detailgetreuen Angaben nachschlagen oder auch einfach das Buch von Anfang bis Ende lesen, denn es ist in einem allgemein zugänglichen, ansprechenden Stil, mit erklärtem Wunsch nach Objektivität geschrieben. Man müsste ein weiteres Buch schreiben, um auf die vielen Einzelheiten und Besonderheiten einzugehen, die diese Ortsmonographie enthält. Auf die über 1 100 sorgfältig ausgewählten Abbildungen sei besonders hingewiesen, die den Text anschaulich ergänzen und illustrieren. Sie berichten auf ihre Weise über eine achthundertjährige Geschichte dieses Ortes, über die Leistungen, auch über die Leiden der Tartlauerinnen und Tartlauer im Wechsel der Zeiten: Heimsuchungen durch Kriegsvölker, Seuchen, Brände und Naturkatastrophen, Kriegsdienste, Zwangsarbeit in der Sowjetunion, Enteignung und Entrechtung durch das kommunistische Regime, Aussiedlung etc. etc. Leider hat die Bildqualität stellenweise durch den zu dunklen Druck gelitten, insgesamt aber veranschaulichen sie den Text hervorragend. Das gelungene Layout, das Carmen Kraus von der Firma Kraus PrePrint aus Landsberg am Lech zu verdanken ist, sei besonders hervorgehoben. Ebenso ihre sorgfältige Bearbeitung der zahlreichen Fotos, damit sie sich für den Druck eignen.

Tartlau wird von Anfang an im gesamtsiebenbürgischen Kontext dargestellt, auch in der selbstironischen Erklärung, es sei der Ort „wo die Welt mit Brettern zugeschlagen" ist, weil hier „aus Sicht der Siebenbürger Sachsen die Welt" endete (S. 8). Die Darstellung berücksichtigt nicht nur die Siebenbürger Sachsen, sondern schlägt auch eine Brücke zur Mehrheitsbevölkerung und hebt das Besondere an der Kultur und Geschichte von Tartlau hervor. Sie spricht darum auch Forschende unterschiedlichster Wissenschaftszweige aus der ganzen Welt an, Historiker ebenso wie Ethnographen, Linguisten ebenso wie Soziologen, Kunst- und Architekturhistoriker ebenso wie Kulturwissenschaftler. Die Ortsmonographie wird deshalb ein wichtiges Informations- und Nachschlagewerk sein, das nicht allein die Bewohner dieser Marktgemeinde interessiert, zu denen neben den Sachsen auch die Rumänen, Ungarn, Szekler, Roma, Juden und andere Bevölkerungsgruppen zählen, die mit berücksichtigt werden.

An manchen Stellen wäre es nützlich gewesen, die Beratung eines Fachmanns zu erbitten. So ist die unvollständige Titelei aus bibliographischer Sicht zu bemängeln. Explizit wird zwar kein Erscheinungsort genannt, doch auf der Rückseite des Titelblattes wird als Herausgeber die 9. Tartlauer Nachbarschaft, Volkmar Kirres in Schönaich, angegeben: Schön­aich ist demnach der Erscheinungsort dieses Buches. Auf dem Titelblatt oder zumindest im Inhaltsverzeichnis oder unter den jeweiligen Kapitelüberschriften hätten auch die Autoren erwähnt werden müssen. Erst gegen Ende des Buches (S. 550-552) gibt eine sogenannte „Autorenübersicht" Aufschluss über die Verfasser und die von ihnen gezeichneten Kapitel. Koordinator des siebenköpfigen Autorenteams war Volkmar Kirres (S. 550).

Um einen Eindruck davon zu bekommen, was die Bewohner dieser Gemeinde ausgezeichnet hat und auszeichnet, auch das, was diese Ortsmonographie mit jeder Zeile, mit jeder Abbildung vermittelt, sei abschließend Hans Bergel zitiert, der in seiner Festrede „Von der charakterprägenden Kraft der Geschichte" zur 750. Jubiläumsfeier der Gemeinde Tartlau auch das Rätsel um die eingangs angesprochenen „Widerschlachtejen" auflöst: „In den Ohren eines Schriftstellers, wie ich es bin, eines Menschen also, der es mit der Sprache zu tun hat, ein unerhörtes, ein großartiges, ja ein hinreißendes Wort! Es ins Hochdeutsche zu übersetzen, ist nicht möglich, es kann lediglich umschrieben werden. Im ‚wedderschlächtig' ist der ‚Schlag', ist auch der ‚Schläger' enthalten, ist derjenige enthalten, der ‚wedder-', ‚wider-' und das heißt hier: zurückschlägt, derjenige also, der sich zur Wehr [...] setzen kann. Der ‚Wedderschlächtige' ist der Mensch, dessen Stärke im Hinnehmen von Schlägen – von Schicksalsschlägen – ihr Gegengewicht im Zurückgeben, im aufbäumenden Widerstand, in der aktiven Antwort somit auf den empfangenen Schlag hat. [...] Aus der Geschichte Tartlaus heraus kann ich mir ein dem Tartlauer angemesseneres Wort nicht vorstellen. Ein herbes, vom Hauch geschichtlicher Formung umwittertes kantiges Wort, das es [...] sonst nirgendwo in Siebenbürgen gibt, so wie es die Vorgeschobenheit in die Weite des Ostens dort kein zweitesmal gibt. Und in dem Wort ist schließlich auch das unendliche Leid dessen enthalten, der vieles zu erdulden hatte, gegen das er: wider das er sich behaupten mußte." (S. 469)

Die Tartlauer Ortsmonographie berichtet von Werden und Entwicklung dieses Menschenschlags. Ihre Lektüre ist nicht nur für die früheren und heutigen Bewohner der Marktgemeinde, sondern auch für viele Burzenländer, für Siebenbürger Sachsen und an Siebenbürgen Interessierte ein Gewinn.

Konrad Gündisch, Siebenbürgische Zeitung