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„Weltkulturerbe in Siebenbürgen"

1. Januar 2009

Reiseführer stellt die neun Stätten der UNESCO-Liste vor

Der von Anselm Roth und Holger Wermke bearbeitete Reiseführer ist Ende letzten Jahres erschienen und insofern sehr zu begrüßen, als er in mehrfacher Hinsicht Lücken schließt. Zum einen stellt er gleich einem Vorspann die 1972 verabschiedete UNESCO-Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt vor und erläutert die Schutzmechanismen, deren Grundlage die Welterbeliste bildet. Zum anderen informiert er erstmals das deutschsprachige, reise- und kulturbeflissene Publikum über die Kulturstätten von „herausragender, weltweiter Bedeutung" (so der Text der Welterbekonvention), die in Siebenbürgen besichtigt werden können.
Die Daten sind insofern etwas ungenau, als die Welterbeliste zwar seit dem letzten Sommer 890 Kultur-, Natur- und auch gemischte Stätten enthält, in Bälde jedoch mit Sicherheit weiteren Zuwachs erhalten wird, wenn das zuständige Welterbekomitee der UNESCO 2010 (turnusmäßig) tagt. Auch besetzen die siebenbürgischen Welterbestätten keineswegs neun, sondern lediglich drei Positionen auf der Welterbeliste – die Dakerfestungen, die Altstadt von Schäßburg und die Dörfer mit Kirchenburgen, exemplarisch vertreten durch die sächsischen Orte Kelling, Wurmloch, Birthälm, Keisd, Deutschweißkirch und Tartlau sowie Dersch für die Szeklersiedlungen. Umso genauer und aktueller sind hingegen die praktischen Informationen – Reiserouten bzw. Anfahrtswege, Übernachtungsmöglichkeiten oder die namentlich genannten Personen, bei denen der Schlüssel zur Kirchenburg zu finden sind, die von den beiden Autoren persönlich recherchiert worden sind und in der Art einer Reisereportage beschrieben werden.
Das für einen Reiseführer unentbehrliche Kartenmaterial ist entsprechend aufbereitet und durchaus handlich, d.h. nicht als aufzufaltende Beilage, sondern teils im Text, teils im Anhang des Buches eingefügt (wegen des kleinen Maßstabs jedoch für viele nur mit der Lupe zu erschließen). Der beschreibende, teils sehr ausführliche Text zu den einzelnen Stätten bzw. Ortschaften ist bewusst salopp gehalten, wohl um zu vermeiden, dass die bau-, kunst- und kulturgeschichtlichen Informationen Überhand nehmen und die Lesbarkeit erschweren. Bei allem Verständnis dafür muss von jedem ernst zu nehmenden Reiseführer erwartet werden – erstrecht, wenn es sich um Weltkulturdenkmäler handelt – dass die angebotenen Daten, Jahreszahlen, Fakten oder Künstlernamen zur Landeskunde, Geschichte, Bau- und Kunstgeschichte den neuesten Erkenntnissen der Forschung entsprechen, die sogar für Siebenbürgen seit den späten 1990er Jahren, u.a. auch deutschsprachig zur Verfügung stehen.
Die durchgehende Lektüre des Buchtextes bestärkt jedoch die Gewissheit, eine Art „Schnellschuss" auf der Basis einer oberflächlichen Recherche in der Hand zu haben bzw. eine der vor allem in den vergangenen Jahrhunderten sehr beliebten Reisebeschreibungen mit vor Ort gesammelten Eindrücken und Informationen. Letztere aus kompetenten und aktuellen Quellen zu schöpfen, hätte weder Mühe noch großen Zeitaufwand erfordert, wie etwa die eingangs gemachte Feststellung, dass die sieben siebenbürgischen Ortschaften unter der Position der Welterbeliste als „Dörfer mit Kirchenbefestigungen" zusammengefasst sind. Allein dieser Bezeichnung ist bereits unschwer zu entnehmen, dass nicht allein die Kirchenburgen, sondern jeweils das ganze Dorf gemeint und über die UNESCO-Konvention geschützt ist. In den sächsischen Dörfern gilt das nicht allein für die durchwegs erhaltene, beeindruckende und charakteristische Reihung der giebelständigen Höfe mit ihren Toreinfahrten entlang der Straßen – in Keisd übrigens mit äußerst seltenen, für Siebenbürgen einmaligen Nischendekorationen in den Giebeln (im Buch auf der Abbildung auf Seite 71 unten erkennbar) –, sondern auch für den Hattert, das gesamte Gemeindegebiet, wie z.B. die Birthälmer Weinbergterrassen, inzwischen leider größtenteils aufgegeben bzw. verwildert. Ausnahme macht lediglich das Szeklerdorf Dersch, in den letzten Jahrzehnten weitgehend verändert, wo lediglich ein beschränkter Schutzbereich um die Kirchenburg ausgewiesen wurde.
Darüber hinaus wäre es für die Besucher der siebenbürgischen Dörfer sicher sehr hilfreich, die besondere, weltweite Bedeutung der ausgewählten Beispiele anhand der Auswahlkriterien besser zu verstehen, die als Grundlage für die 1999 erfolgte Erweiterung und Neubenennung der seit 1993 auf der Welterbeliste bestehenden Position Birthälm gedient haben. Ausschlaggebend war die Benennung herausragender Beispiele von unterschiedlichen Bautypen an Kirchenburgen in den historischen Siedlungsgebieten der Siebenbürger Sachsen: Kelling im Unterwald z.B. wurde ausgewählt, weil hier der einzige befestigte Wohnsitz einer Gräfenfamilie noch aus dem 13. Jahrhundert in Siebenbürgen erhalten geblieben ist, dessen Kapelle, wenn auch nachträglich verändert, sicher bereits auf die Ursprungszeit ab 1269 zurückgeht. (Dass die Gräfenfamilie Kelling 1430 verlassen musste, nachdem die Sachsen die Burganlage der Familie abgekauft hatten, ist hinlänglich bekannt.) Wurmloch im Kokelgebiet zeigt mit seiner Wehrkirche mit den mehrfachen Wehrgeschossen über Langhaus und Chor sicherlich die aufwändigsten Befestigungsanlagen an einem Kirchengebäude. Dafür wurden (um 1500) die Seitenschiffe der romanischen Basilika abgebrochen, um einen besseren Zugriff auf die Angreifer zu haben, während das gleichzeitig eingezogene Tonnengewölbe mit aufgelegtem Rippennetz aus Backstein vornehmlich als Feuerschutz diente – Informationen, die den Besuch der Kirche für jeden spannend machen. Keisd wiederum ist eines der wenigen Beispiele einer Dorfgemeinschaft, die 1493 ihre romanische Kirche in der Dorfmitte abgebrochen hatte, um eine Wehrkirche „aus einem Guß" zu errichten. Die oberhalb des Dorfkernes auf einem Steilhang erhaltene Bauernburg, eine Flieh- bzw. Fluchtburg ist eines der wenigen erhaltenen Beispiele dieses Bautyps in Siebenbürgen (wie Reps oder Rosenau).
Deutschweißkirch ist eines der kleinsten, jedoch sehr gut erhaltenen sächsischen Dörfer und muss im späten Mittelalter relativ arm gewesen sein, denn nach einem Unwetter 1494 mit starker Beeinträchtigung der Kirchenbefestigung hatte die Sächsische Nationsuniversität erstmals zu einer Sammlung zwecks finanzieller Unterstützung der Dorfgemeinschaft zur Beseitigung der Schäden aufgerufen. Tartlau ist schließlich das herausragende Beispiel einer Kirchenbefestigung in der Tiefebene des Burzenlandes, wobei hier im Gegensatz zu den meisten anderen Befestigungsanlagen der Kirchenburgen ein geschulter Festungsbaumeister für die südliche Vorburg mit Zwinger verantwortlich zeichnete. Es würde zu weit führen, auf weitere, sicher nicht weniger wichtige Details der beschreibenden Texte, auf Jahreszahlen, Daten, Datierungen oder hypothetische Zuordnungen einzelner Kunstwerke oder Ausstattungsstücke in den Kirchen der Welterbestätten, wie etwa in der Schäßburger Bergkirche einzugehen. Das würde einer Neubearbeitung des kunst- und kulturgeschichtlichen Teils des Reiseführers gleichkommen, die hoffentlich bald fällig sein wird. (Christoph Machat)

Anselm Roth, Holger Wermke, Weltkulturerbe in Siebenbürgen. Die neun Stätten der UNESCO-Liste. Schiller Verlag Hermannstadt - Bonn 2009, 118 Seiten, über 150 Farbfotos (von Anselm Roth, Holger Wermke, Roxana Höchsmann, Jakob Benöhr), Preis: 17,40 Euro, ISBN 978-3-941271-30-2

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