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Blinde Forellen und anderes Gemüse

1. April 2011

Brigitte Ina Kuchars „Siebenbürgische Küche"

Der Schiller Verlag Hermannstadt bringt bereits den zweiten siebenbürgischen Kochbuchklassiker in einer Neuauflage heraus – nach dem „Siebenbürgischen Kochbuch" von Martha Liess im Jahr 2007, das inzwischen in die 4. Auflage geht, folgt „Siebenbürgische Küche" von Brigitte Ina Kuchar.

Als Brigitte Ina Kuchars Buch „Siebenbürgische Küche" 1983 im Technischen Verlag Bukarest erschien, war ich vier Jahre alt und interessierte mich nicht fürs Kochen – abgesehen von meiner Puppenküche. Jetzt bin ich 32, mit einem guten Regalmeter Koch- und Backbüchern ausgestattet (von denen allerdings die Hälfte meinem Mann gehört) und halte die Neuauflage von Kuchars Buch in den Händen, Schiller Verlag sei Dank. In den 28 Jahren, die zwischen dem ersten und dem letzten Erscheinen dieses Buches liegen, habe ich unter anderem Zwiebelschnitzel und Reisfleisch, Tocană und Bertramsuppe, gekochtes Rindfleisch mit Tomatensoße und gefüllte Paprika, Kletiten und Brotkoch, gerollte Nusstorte mit selbst gemachter Buttercreme und verschiedenstes siebenbürgisches Kleingebäck gegessen. Ich bin zur Vegetarierin geworden, habe mich ein paar Jahre später entschieden, wieder Fisch und Meeresfrüchte zu essen (Fleisch steht nach wie vor nicht auf dem Speiseplan) und mich kulinarisch weit von Siebenbürgen entfernt. Einerseits. Andererseits ist mir der typisch siebenbürgische Hang zu allen Arten von Suppen geblieben, gibt es bei Familienfeiern zum Kaffee immer noch Ischler, gefüllte Waffeln, Harlekin und Co., mache ich Vinete mit selbst gerührter Mayonnaise und esse leidenschaftlich gern Mutters und Schwiegermutters Zacuscă aus eigener Produktion – wie praktisch, dass es sich um vegetarische „Lukullitäten" handelt.

Was fange ich also mit der „Siebenbürgischen Küche" von Brigitte Ina Kuchar an? Ich blättere und erinnere mich ... An die Tage, an denen ich nach der Schule zu meinen Großeltern ging und als Beilage zum Mittagessen grünen Salat mit Essig und Puderzucker bekam – eine seltsame Komposition damals wie heute. An die Suppe mit grünen Bohnen, zunächst mit Speck und später ohne fleischliche Zusätze gekocht, genauso wie die Bertramsuppe, deren Einlage zuerst kleine Speck- und später dann kleine Semmelknödel waren – ein Genuss! Überhaupt diese ganze „Knödelei": Grießknödel in klarer oder Tomatensuppe, Zwetschgenknödel aus Kartoffelteig mit einer heißen, goldgelben Frucht in der Mitte, Topfenknödel, in Semmelbröseln gewälzt und mit Zucker bestreut – Knödel ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Leben.

Beim Blättern stellen sich allerdings nicht nur Erinnerungen an kulinarische Genüsse aus meiner Kindheit ein, ich bleibe auch unwillkürlich an bestimmten Rezepten „hängen": Jungfernbraten in Butterteig, zweifarbiger Gemüsepudding, blinde Forellen, falscher Thunfisch, Elefantenwurst, errötendes Mädchen, Mimosenschnitten – was mag das wohl alles sein? Vor meinem geistigen Auge entsteht eine Art siebenbürgisches Schlaraffenland, in dem sich Tiere verkleiden, Gemüse wie ein Chamäleon die Farbe wechselt und alle Mädchen ein wenig empfindlich sind, dafür aber eine gesunde Gesichtsfarbe haben. Zwischen ihnen hantieren wieselflink und routiniert Köchinnen (und Köche!) in gestärkten und bestickten Schürzen mit Holzlöffeln und Kupfertöpfen. Welch reizvolle Vorstellung – ich bekomme sofort Lust, mich in die Küche zu stellen und zu experimentieren!

521 Rezepte – von Ägrischkaltschale bis Zwiebelsoße – finden sich in Brigitte Ina Kuchars „Siebenbürgischer Küche", übersichtlich angeordnet in zwölf Kapiteln und mit einem alphabetischen Verzeichnis versehen, zudem „Kleine Küchenwinke" und andere nützliche Tipps und Tricks rund ums Kochen, Backen, Konservieren und Aufbewahren. Ob ich mich durch alle 521 durchkoche? Am Wochenende versuche ich mich für den Anfang an einem gestürzten Obstkuchen (Rezept Nr. 417) – mal sehen, ob daraus eine kulinarisch wertvolle Erinnerung wird.

Doris Roth, Siebenbürgische Zeitung, April 2011

Brigitte Ina Kuchar, „Siebenbürgische Küche", Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2011, 350 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-941271-46-3.

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