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Lebendig und bildreich

18. Januar 2013

Dobrudscha - Menschliche Begegnungen machen das Buch aus

Es ist kein typischer Reiseführer, dafür liest sich das Buch in einem Rutsch durch. Es handelt sich um das Ende 2012 im Schiller-Verlag erschienene Buch „Dobrudscha", das den Untertitel „`Mit Resi nach Saturn´ und andere Reisebegebenheiten aus Rumäniens Schwarzmeer-Provinz" trägt. Der deutsche Autor, Dr. Horst Pfingsten, ist pensionierter Allgemeinmediziner und begeisterter Rumänienreisender. Er hat das Land 2011 zum sechsten Mal bereist. Seine erste Reise führte 1970 in den stalinistischen Zeiten der Ära Ceauşescu als Student nach Rumänien. Bis 2011 besuchte er Siebenbürgen, die Südkarpaten, die Bukowina, die Westkarpaten, das Donaudelta, die Maramuresch, das Banat und das Apuseni-Gebirge. Die Dobrudscha kam 2011 an die Reihe, wobei der vorliegende Band Erlebnisse und Erinnerungen aus früheren Reisen sich mit Aktuellem verweben. Es ist die erste Buchveröffentlichung des Autors.

Das Besondere an dieser Reisebeschreibung ist die Art und Weise wie Pfingsten das Erlebte wiedergibt. Dabei verfügt er über einen guten Beobachtungssinn und fasst in Worte, was einem in Rumänien Lebenden nicht mehr merkwürdig vorkommt. So zum Beispiel trifft er auf seiner Reise auf eine Gruppe Sonnenblumenkerne-Essender Rumänen und beschreibt diesen hierzulande bekannten Vorgang sehr bildhaft:
 „Ein geübter Knabberer benötigt lediglich zwei bis drei Sekunden für einen Kern: Dieser wird mit zwei Fingern hochkant zwischen Ober- und Unterkiefer gesteckt, von diesen geknackt, mit der Zunge in das Innere des Mundes befördert. Bei geschlossenem Mund wird im Inneren, man sieht lediglich kurze flinke Mümmelbewegungen des Unterkiefers, der Kern von der Schale getrennt, ersterer geschluckt, letzterer gespuckt, und zwar im hohen Bogen (...)"
 Offensichtlich hat der Autor vor seiner Reise viel über die Dobrudscha gelesen. Er weiß über die vielen verschiedenen Ethnien und den geografischen Besonderheiten der Dobrudscha Bescheid. Immer wieder zitiert er aus verschiedenen Reiseführern, vor allem aus Andrzej Stasiuks Roman „Unterwegs nach Babadag", der 2005 im Suhrkamp-Verlag in Frankfurt a.M. erschien.
 Pfingsten bereist die Dobrudscha allein mit wenig Gepäck, nach dem Motto von Patrick Leigh Fermor „Willst du eine Reise tun, so lass diese drei zurück: Gepäck, Freunde, Urteile." Er ist stets zu Fuß, per Zug, Anhalter, Kleinbus oder Schiff unterwegs und ist überzeugt davon, dass er als Alleinreisender mehr mit Menschen in Kontakt kommt. Das Erreichen der in den Reiseführern angegebenen Highlights erweist sich dabei oft als beschwerlich, ja sogar als Pleite: da regnet es in Strömen, dort halten ihn die Dorfhunde in Schach, oder das Museumsgebäude hat seine Öffnungszeiten falsch angegeben. Zum Glück wird er pitschnass vom netten Kleinbusfahrer mitgenommen, deren Ehrenfahrgast er wird.
 Die menschlichen Begegnungen machen das ganze Buch aus und geben dem Geschriebenen die Dynamik. Diese Begegnungen schildert der Autor lebendig und bildreich, wobei er genussvoll, liebevoll, manchmal auch frech die feinen Nuancen ausmalt. Mal trifft er den Bahnhofsvorsteher im abgelegenen Haltepunkt des Steppendorfes, kreuzt den Weg eines Schafhirten, der seinen Hund nicht zurückpfeifen will, mal wird ihm von Lili und Liliana fürsorglich ein Schlafplatz im Dorf vermittelt. Die bekannte rumänische Gastfreundlichkeit nimmt einen großen Teil der Geschichten ein.
 Im Mittelteil des Buches befinden sich einige Fotos, auf die der Autor leicht hätte verzichten können, angesichts der vielsagenden sprachlichen Bilder.
 Im Anhang kann der Leser ein Stichwortverzeichnis finden, das bestimmte Begriffe erläutert, sowie ein Verzeichnis der deutschsprachigen Dobrudscha-Literatur.
 Für einen Nichtkenner, der die Dobrudscha bereisen möchte, ist Horst Pfingstens Erstlingswerk auf jeden Fall empfehlenswert, sollte aber nicht als Reiseführer betrachtet werden.
  Cynthia PINTER

Hermannstädter Zeitung, 18. Januar 2013

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