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Die Sprachlosigkeit der Fische von Margit Mössmer
Roman

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Kategorie: Bücher
Seiten / Format: 137 S
Erscheinungsjahr: 2018
Verlag: Edition Atelier
Sprache: Deutsch
ISBN: 9783903005051
Auflage / Bände: 3., erw. Aufl.

"Margit Mössmer, Preisträgerin des Ö1-Literaturwettbewerbs WÖRTER.See, beherrscht in ihrem Debüt eine Vielzahl von Tönen, manchmal lakonisch, durchwegs heiter, mit treffsicheren Dialogen im Wiener Vorstadtidiom und mit markanten Sprachbildern."- Gunther Neumann, Wiener ZeitungGerda in LondonGerda hatte das West End schon immer verabscheut.'Diese heuchlerische Gegend', sagte sie gerne,'die einem ein London vorspielt, das es nie gegeben hat, nie geben wird. Diese schicken Häuser von Notting Hill, deren rote, blaue, türkise Türen ja nur in die Bedeutungslosigkeit einladen.'Darum hielt sich Gerda seit Jahren im Osten der Stadt auf. Authentizität, sagte sie sich, Authentizität. Zum Jahreszeitenwechsel ging sie zu Anoop Akhtar, dem Schneider. Anoop war nicht der beste Schneider in Whitechapel, aber er hatte die schönsten Stoffe. Gerda liebte deren Geruch und unterschiedliche Beschaffenheit. Samt, Spitze, Besticktes, weich fließende Baumwolle und Leinen.Anoops Geschäft lag am Ende der Brick Lane, in einem kleinen aus Backstein gebauten Haus, das zur Straße hin keine Fenster hatte, nur eine Tür mit bunten Glasscheiben. Anoop ließ das Maßband von Gerdas Schulter bis zur Hüfte hinunterhängen und fasste ihre Taille damit ein.'You lost weight', sagte er.'Lost?', fragte Gerda. Er ging ins Lager, um die neuen Stoffe, die er gerade erst aus Bangladesch bekommen hatte, zu holen. Gerda schaute sich in der Zwischenzeit um. Staubig war es. Richtig verdreckt. In der Ecke saß unter der Schneiderpuppe Anoops Leguan. Er sah viel größer aus als sonst. Und warum konnte sie ihn hören? Die knackenden Geräusche, die er machte, weil er gerade einen Wurm verschlang?An der Garderobenstange, die von der Tür bis zum Verkaufstisch reichte, hingen fertige Kleidungsstücke zurAbholung. Gerda ging die Stange entlang, streifte mit ihren Fingern über die Anzüge, Kleider und Blusen. Mrs. D'Antal, Mr. Ryosuke Ho, Mrs. Brown. Anoop hatte jedes Kleidungsstück sorgfältig mit einem kleinen Zettel gekennzeichnet. Sie zog ihre Hand von Miss Deedles Leinenhose. Ihre Finger waren völlig verschleimt. Die Masse rann schneller als Wasser zu ihrem Ellbogen hinab. Sie warf einen Blick zu der zum Lager hin offenstehenden Tür. Eine Maschine hatte angefangen zu arbeiten. Taktaktaktaktak. Zu laut für eine Nähmaschine. Mit ihrer linken Hand griff sie nach einem roten Samtkleid. Das Namensschild fehlte. Es war ein klassisch geschnittenes Etuikleid, an den Rändern des Dekolletés mit dunkelblauer Baumwolle eingefasst.Wie von selbst legte sich der Stoff an Gerdas Haut, bewegte sich das Kleid über ihren Kopf, ihren Körper hinab. Sie blickte an sich herab, als sich der Saum am Dekolleté zu öffnen schien. Ihr Gesicht, dann ihr Kopf, dann ihr ganzer Körper wurden durch eine angenehm mächtige Sogwirkung in den Saum verschlungen. Es war nun ganz dunkel. Nur in einer Ecke, vielleicht am Boden, sah sie verkümmerte, weinerlich schreiende Lipizzaner. Die Pferde waren dicht aneinandergedrängt, und auf ihren strahlend weißen Körpern flossen Blut und Eidotter hinab. Sie gab einem der Ekel Zucker. Das Tier verschlang ihre Hand, und schließlich Gerda selbst.Gerda hörte dumpfe Stimmen und klapperndes Geschirr. Und jetzt sah sie auch wieder Licht. Das Pferd hatte sie ausgespuckt. Auf den Michaelerplatz, in den Gastgarten des Café Griensteidl.'Haben gnä'Frau noch einen Wunsch?', fragte der Kellner. Gerda nickte. Sie gefiel sich in der neuen Bluse und leerte ihre Melange darüber.Wir begegnen ihr als Au-pair-Mädchen in London, auf Sommerfrische in Bad Aussee oder als alte Dame in Ecuador. Wir beobachten ihren Alltag, sind bei großen Ereignissen dabei und folgen ihr auf fantastische Reisen. Sie ist Gerda, eine Frau, die immer schon dagewesen zu sein scheint und überall zugleich sein kann. Erzählt werden ihre Geschichten vom ecuadorianischen Arzt Jorge Oswaldo Muñoz, dem es sichtlich Freude bereitet, das eine oder andere absurde Detail einfließen zu lassen.Ein unglaublich amüsantes Buch, das mit viel Charme und Verve zeigt, dass irgendwie alles möglich sein kann.2ATMargit Mössmer, 1982 in Hollabrunn geboren, lebt und arbeitet in Wien. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie der Hispanistik. 2010 wurden Texte aus »Die Sprachlosigkeit der Fische« beim Ö1 Literaturwettbewerb prämiert und mit Burgschauspielerin Dorothee Hartinger vertont. 2015 wurdesie mit »Die Sprachlosigkeit der Fische« für den Franz-Tumler-Preis nominiert. 2016 erhielt sie für »PALMHERZEN« das Startstipendium für Literatur des Bundeskanzleramtes und das Hans-Weigel-Literaturstipendium. 2020 ist sie Stipendiatin im Bundesländeratelier für LiteratInnen in Paliano beiRom und Stipendiatin im Prager Literaturhaus.

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