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Dem Himmel ganz nah (OmU)

Dem Himmel ganz nah (OmU) von Titus Faschina
Die Kraft des Ursprungs

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Lei 72 / € 16,99
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Kategorie: DVD
Seiten / Format: Spielzeit 97 min.; DVD
Erscheinungsjahr: 2012
Verlag: Indigo
Sprache: Deutsch
ISBN: 4260065523852

Zusatzmaterial: Bildgalerie, Impressionen, Interview mit Regisseur und Bildgestalter, Disc-Format DVD 9, Regionalcode 0

Den meisten Menschen wird Transsylvanien vor allem aus Büchern oder Filmen bekannt sein. Doch dieser Film zeigt einen anderen Blick auf das Land in den Karpaten. Thema des Films ist Dumitru Stanciu, ein Schafhirte und einer der letzten seiner Zunft. Mit wechselndem Blick auf die schöne Natur und das Leben Stancius wird gezeigt, wie er und seine Familie noch so leben wie ihre Vorfahren, weit entfernt von Modernität und Technik.

Titus Faschina begleitete in elegisch-ästhetischen Schwarzweiß-Bildern eine der letzten Hirtenfamilien des transsilvanischen Karpatenbogens. Das Resultat ist eine Art filmisches Requiem einer Familie, die sich nicht unterkriegen zu lassen scheint, festgehalten in wunderschönen und anmutigen Bildern und anmutiger rumänischer Folklore-Musik.

Bild aus Dem Himmel ganz nah Als Gott die Erde erschuf, legte er seine Hand auf ein besonders hübsches Stück Land, und als er sie wieder anhob, nahm er etwas Erde mit sich. Das Resultat waren die Karpaten, eine Region, dem Himmel ganz nah. Die Geschichte der Karpatenentstehung ist nicht die einzige transsilvanische Mythenbildung, erklärt sich der Name zweier Berge, "Schlucker" und "Würger", doch dadurch, dass dereinst ein Drache eine Schafherde auf dem einen Berg verschluckt und auf dem anderen wieder ausgespien haben soll. Dumitru Stanciu erzählt diese Geschichte seinem 16-jährigen Sohn Radu, der jedoch - wie wohl die meisten Zuschauer - noch nie davon gehört hat.

In Dem Himmel ganz nah geht Titus Faschina, der selbst in transsilvanischer Mythenbildung promoviert hat, dieser kulturhistorischen Symbiose von Karpaten und Hirtentum nach. In ästhetischen Schwarzweiß-Bildern von Bernd Fischer hält Faschina die Abgeschiedenheit in den Bergen fest. Die dreiköpfige Familie Stanciu wohnt hier auf einem großen Land, viel größer, um es gänzlich auszunutzen. Es fehlt ihnen schlichtweg an Unterstützung. Die Nachbarn ziehen weg, birgt das Hirtentum doch "kaum eine Chance, kaum Hoffnung", wie Dumitru Stanciu verrät. Denn seit die traditionelle Käseherstellung durch die neuen EU-Verordnungen verboten wurde, wird viel von der hergestellten Polenta tagtäglich selbst verzehrt.

Für Ethnologen sind solche Regionen "Reliktgebiete", Überbleibsel einer alten Kultur. Für Faschina dokumentiert sein Film einen Verlust von Lebenswelten. Hierbei hilft natürlich auch der Schwarzweiß-Look, wenn die abgefilmte Gegenwart in Zukunft Vergangenheit wird, sich aber bereits jetzt so anfühlt. Im Kontrast zu hektischen Großstädten wirkt das Gut der Stancius wie eine entschleunigte Welt. Der 16-jährige Radu teilt sich ein Schlafzimmer mit seinen Eltern, steht morgens auf, führt die Herde aufs Feld, dann wieder runter, erledigt dazwischen Arbeiten. "Zum Spielen bleibt da keine Zeit", verrät Radu. Und ohnehin: Nur drei, vier Kinder wohnen in seiner Umgebung, der Weg in die Schule ist mit einem stundenlangen Spaziergang verbunden.

Dennoch zieht es Radu nicht unbedingt in die Stadt. "Hier ist die Freiheit viel größer", ist sich der Jugendliche sicher. Da oben in den Bergen lebt er das Leben seiner Vorfahren. In einer Welt ohne Elektrizität und Leitungsversorgung muss das Wasser selbst geholt, die Felder und Wiesen von Steinen gesäubert und die Schafe mit einer Schere statt mit einem Rasierer geschert werden. "So sind wir groß geworden", erinnert sich Dumitru, der natürlich hofft, dass sein Sohn später das Gut übernimmt, allerdings auch Verständnis zu haben scheint, wenn dem nicht so wäre. Für die Eltern wiederum gibt es keine Alternative. Wo sie denn hinsolle mit 52 Jahren, fragt Mutter Maria. Schließlich habe sie nur acht Jahre die Schule besucht. Es wird klar: Die Stancius sind bereit, mit dieser Region zu sterben.

Faschina, der sich seit Jahren filmisch mit den Karpaten beschäftigt, gelingt mit Dem Himmel ganz nah ein elegisches Dokument eines sterbenden Berufs- und Kulturzweigs. Ähnliches zeigte im vergangenen Jahr bereits die US-Dokumentation Sweetgrass zum selben Thema (wenn auch mit anderem Inhalt und anderer Umsetzung). Die Schwarzweiß-Bilder von Bernd Fischer verleihen der Dokumentation eine wortwörtliche Qualität eines motion picture - von bewegten Bildern. Denn die meisten Szenenbilder könnte man problemlos eingerahmt in einer Galerie ausstellen. Dies führt allerdings auch dazu, dass die ästhetischen Bildkompositionen mit ihren statischen Einstellungen und langen Schwenks ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit einfordern.

Wie genau die Stancius mit der Situation umgehen, bleibt offen. Zwar wirken sie, als ob sie es nehmen, wie es kommt, gänzlich sicher ist man sich jedoch nicht. Und wenn zu Beginn des Films Dumitru und Radu gemeinsam ihre Schafsherde scheren, fällt diese Aufgabe am Ende dem Vater alleine zu, während sich der Sohn auf dem Weg ins Karpatendorf Jina macht, wo ihn ein Bus zur Schule bringt. Vermutlich ist die Freiheit im transsilvanischen Karpatenbogen in der Tat sehr viel größer als in Bukarest oder selbst in Temeswar, bei den beruflichen Chancen sieht dies wohl anders aus. Wer dem Himmel jedoch so nah ist, wie die Bewohner des Karpatenbogens, gibt die Hoffnung aber wohl zuletzt auf. Denn schließlich besagt ein rumänisches Sprichwort: Das geneigte Haupt wird nicht abgeschlagen.

Florian Lieb