skip to content

Stadtidentität und Kontinuität

23. November 2007

Zum Band „Das alte Hermannstadt" von Otto Czekelius und Hermann Fabini

von Paul Philippi

Im 18. Kapitel des Lukasevangeliums steht die Geschichte von jenem reichen Jüngling, der alles besitzt, was man sich in dieser Welt wünscht, und meint, auch alles das erfüllt zu haben, was über diese Welt hinaus führt. Da aber sagt ihm unser Heiland: „Eins fehlt dir noch!"

„Eins fehlt dir noch"? Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich den profanen Anlaß einer Buch-Vorstellung mit so einem biblischen „Votum" einleite, nur um damit ein Stichwort für das Buch zu finden, das ich hier präsentiere. Doch ist das „seit 1191 junge Hermannstadt" in diesem Jahr so ein reicher Jüngling, nämlich auch mit Büchern und Bildern reich bedacht worden. Man könnte meinen, jetzt ist alles schon erfüllt, was gedruckt zu werden lohnte. Aber nein: Dieses eine Buch fehlte noch! Wie erfreulich, daß wir es jetzt haben und vorstellen können.

In diesem schön edierten Band - „Das alte Hermannstadt, Veduten und Stadtpläne aus vier Jahrhunderten", Monumenta-Verlag Hermannstadt 2007 - gibt es mindestens vier Abschnitte, die es gründlich zu studieren lohnt und die bisher 2007 so noch nicht zu lesen waren. Da ist zuerst das nachdenkenswerte Vorwort, aus dem folgender Satz zitiert werden kann: „Die vorliegende Veröffentlichung will dazu beitragen, ausgehend von den vielen Möglichkeiten, die die Wende von 1989 gebracht hat, darunter auch die intensive Verbindung zum Großherzogtum Luxemburg, ein Wertesystem zu entwickeln, das der europäischen Dimension Hermannstadts, seiner Geschichte, seiner architektonischen und städtebaulichen Gestalt gerecht wird."

Sodann die äußerst eindrucksvolle und mit Bildern belegte, kurze Stadtgeschichte von Hermannstadt. Es folgt die außerordentliche Lebensgeschichte des Hermannstädter Stadtarchitekten Otto Czekelius (21. August 1895 - 21. März 1974), eines geborenen Hermannstädters, der nach seiner Studienzeit in München und Berlin Stadtarchitekt wurde - nicht von Hermannstadt, sondern von Spaniens Hauptstadt Madrid. Erst nach Abenteuern im spanischen Bürgerkrieg 1936 kehrte er heim. Seine Wanderjahre waren, so könnte man sagen, eine dauernde Flucht vor dem Kommunismus, von München 1919 nach Berlin, von dort 1922 nach Madrid, von dort 1943 nach Hermannstadt - bis dieser ihn dann zu Hause nach 1945 endgültig einholte. Schließlich folgen dann die von Czekelius gesammelten, feinen 152 Stiche, Veduten, Pläne und Fotografien, die Hermannstadt in der Sicht von vier Jahrhunderten zeigen - vom 16. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Indem der Autor des Buches, Hermann Fabini, das Erbe seines älteren Kollegen der Öffentlichkeit zugänglich macht, leistet er zur Identität dieser europäischen Kulturhauptstadt einen entscheidenden Beitrag: den Beitrag der Kontinuität. In der Kontinuität stehen, ist eine Grundbedingung von glaubwürdiger Identität. Ich meine nicht eine Kontinuitätstheorie, die sich auf einen Decebal gründet oder auf Arminius den Cherusker. Solche Kontinuitäten werden in Stuben von Gelehrten oder Ideologen konstruiert. Echte Kontinuität verbindet zuerst mit den gerade vorangegangenen Generationen. Wo diese Kontinuität abreißt, ist es um die Identität der Nachgeborenen schlecht bestellt. Im Vierten Gebot heißt es ja „du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß es dir wohl gehe und du lange lebest auf Erden". „Ehre Vater und Mutter" wird auch dem Reichen Jüngling gesagt, von dem wir ausgegangen sind. Ihm wird kein Ahnen-Mythos befohlen. Tradition heißt übergeben, trans-dare, nicht drüber werfen oder gar überspringen. Es geht um den bewußten, respektvollen Umgang der einander durch Altersabfolge verbundenen Generationen miteinander. Dieser Umgang und Übergang sichert Identität und Wahrhaftigkeit - auch im Umgang mit dem Erbe einer Stadt, die sich in diesem Jahr (erfolgreich!) getraut hat, der europäischen Gemeinschaft ein hauptstädtisches Profil zu präsentieren.

So verstanden, hat dieses Buch „noch gefehlt" und kann uns eine Hilfe sein. Ich freue mich, daß es nun da ist. Ich bin sicher, daß viele daran Freude haben werden - und hoffe, daß es in der angedeuteten Richtung auch von Nutzen sein wird.

aus der ADZ vom 23.11.07

weiterführende Links


Spuren, die vergehen »