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Die Siebenbürger Sachsen über sich selbst, Band 1

Die Siebenbürger Sachsen über sich selbst, Band 1 von Ligia Fulga
Sasii despre ei insisi, vol. I

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Kategorie: Bücher
Seiten / Format: 324 S.; Broschiert
Erscheinungsjahr: 2008
Verlag: Kronstadt, Transilvania Expres
Sprache: Deutsch
ISBN: 9789731933191

Um es vorwegzunehmen: Der Inhalt des Buches „Die Siebenbürger Sachsen über sich selbst", herausgebenen vom Ethnographi­schen Museum Kronstadt, hält, was der Titel verspricht. Vorgestellt werden die Ergebnisse der ethnologischen Untersuchungen in den beiden Dörfern Deutsch­weiß­kirch und Meschendorf, die sich nahezu ausschließlich auf Interviews mit sächsischen Ge­währspersonen stützen – und diese sind im Buch wiedergegeben.
Aufgrund von Befragungen hatte ein Team von Fachleuten des Volkskundemuseums Kronstadt unter der Leitung von Ligia Fulga bereits kurz nach Einsetzen der massiven Auswanderung der Sachsen 1990 damit begonnen, eine systematische Dokumentation der sächsischen bäuerlichen Kultur durchzuführen. Folgerichtig waren die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Museums in das vom Kulturrat 1991 – 1998 durchgeführte Projekt der „Dokumentation des siebenbürgisch-sächsischen Kulturgutes" mit einbezogen worden (ihnen ist z.B. die Bearbeitung der Stadt Zeiden im Band 3.4 der Denkmaltopographie Siebenbürgen, Kreis Kronstadt, Heidelberg 2002 zu verdanken), während die Zusammenarbeit mit dem Kulturrat über ein Kooperationsabkommen mit dem Siebenbürgischen Museum Gundelsheim festgeschrieben wurde.

Wenn die Ergebnisse dieser ethnologischen Bestandsaufnahme – die übrigens über 60 sächsische Ortschaften Südsiebenbürgens umfasst – erst jetzt das Licht der Öffentlichkeit erblicken, liegt das weniger an der naturgemäß viel Zeit beanspruchenden wissenschaftlichen Auswertung: Es ist vielmehr die Fragestellung nicht allein nach der Identität der Siebenbürger Sachsen (vor bzw. während der Auswanderung), sondern auch nach einem möglichen Identitätswandel der heute in Siebenbürgen verbliebenen Landsleute – die konsequenterweise eine erneute Befragung der(selben) Gewährspersonen nach einem gewissen zeitlichen Abstand erforderlich machte.

Interviews mit Gewährspersonen gehören seit eh und je zum Repertoire ethnographisch-ethnologischer Feldforschung, deren Aufzeichnungen in der Regel archiviert werden und als Grundlage für die wissenschaftliche Auswertung dienen. Die konsequente Veröffentlichung, d.h. Offenlegung der Befragungen ist ebenso neu wie die vergleichende Wiederaufnahme der Interviews nach 14 – 16 Jahren und deren Auswertung, wodurch ein authentisches Bild der nach 1990 stattgefundenen Veränderungen bzw. Umbrüche innerhalb der notgedrungen stark reduzierten Gemeinden und des Gemeinschaftslebens entsteht. Die detaillierte Schilderung des traditionellen Kronenfestes in Deutschweißkirch bis 1990 und im Vergleich dazu im Jahre 2005 möge als Beispiel hierfür dienen. Von besonderem Interesse sind die Interviews auch durch ihren „Erinnerungswert", da viele mitgeteilte Fakten der befragten Erlebnisgeneration nicht allgemein bekannt oder aufgezeichnet waren. Wer weiß denn Bescheid über die in Deutschweißkirch ehemals funktionierende Windmühle – eine für Siebenbürgen äußerst seltene technische Einrichtung –, oder über den bis zum 2. Weltkrieg in Meschendorf erfolgreich betriebenen Weinbau? Vermutlich nur einige wenige, in der Hauptsache Fachleute, da eine der wiederum sehr seltenen Baumkeltern aus Meschendorf heute im Dorfmuseum Bukarest zu bestaunen ist.

Diese wenigen Beispiele mögen das breite Spektrum und die Vielfalt und Dichte der aufgezeichneten Daten und Fakten vermitteln. Sie beruhen auf dem als „ganzheitlich" zu bezeichnenden methodischen Ansatz der ethnologischen Forschung, mit dem die Kronstädter Fachleute wiederum Neuland betreten haben: Nicht etwa die Trachten allein, die Haus- und Wohnkultur oder die traditionellen Bräuche werden gezielt hinterfragt und untersucht – es ist das gesamte Dorf mit seinen kulturlandschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gegebenheiten, das einer umfassenden Dokumentation und wissenschaftlichen Analyse unterzogen wird. Dieser Forschungsansatz geht auf jahrzehntelange Untersuchungen der internationalen Denkmalpflege unter dem Dach des wissenschaftlichen Komitees für ländliche Architektur CIAV von ICOMOS zurück, freilich nur zum „gebauten" Erbe.

Es ist das Verdienst vornehmlich der asiatischen Kollegen, den Schlüssel für das Verständnis der vielfältigen Äußerungen der ländlich-bäuerlichen Kultur in der Erforschung des „Dorfes" und damit der Dorfgemeinschaft als kleinste „vernakuläre", d. h. ländliche Einheit gefunden zu haben. Diese wiederum erschließt sich erst durch die Kenntnis der „geo-morphologischen" Gegebenheiten der Landschaft, in die das Dorf eingebettet ist: Topographie, Bodenbeschaffenheit, Vegetation und Klima sind ausschlaggebend für die Struktur der Dorfanlage, für die Bauweise durch Verwendung der vorhandenen Baumaterialien, für die Art der Beschäftigung der Dorfbewohner, wie Ackerbau, Viehzucht oder Weinbau, die ihrerseits die funktionale Aufteilung, die innere Organisation der Bauernhöfe bedingt. Diese Vorgehensweise bei der Erforschung der ländlichen Architektur ist bislang – weltweit – nur in Siebenbürgen, bei der Durchführung des Projektes Dokumentation des siebenbürgisch-sächsischen Kulturgutes angewandt worden, dessen Ergebnisse über die „Denkmaltopographie Siebenbürgen" zugänglich sind.

Für die ethnologische Forschung ist das vorliegende Buch die erste umfassende Arbeit dieser Art, deren ganzheitlicher Ansatz nicht allein den angesprochenen Fachmann, sondern auch den interessierten Laien überzeugen. Die Art der Beschäftigung bedingt nämlich notgedrungen die Arbeitsabläufe der Dorfbewohner, die wiederum zur Herausbildung der Tradition gewordenen Bräuche des dörflichen Gemeinschaftslebens im Jahresverlauf geführt hat. Dass Letztere wiederum u.a. die „Kleiderordnung" der Dorfbewohner entscheidend mitgeprägt haben, ist hinlänglich bekannt, und sie sind ein materieller Ausdruck der immateriellen, seit Jahrhunderten gepflegten Kultur des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Folgerichtig finden wir alle erdenklichen Daten zu den beiden Dörfern Deutschweißkirch und Meschendorf, von den landschaftlichen Gegebenheiten über die Dorfanlage mit Grundriss und den kartierten denkmalwerten Bauten bis hin zu der Beschäftigung der Dorfbewohner, ihre Wohnkultur oder die technischen Gemeinschaftseinrichtungen, die Trachten und damit die traditionelle Kleiderordnung – z.B. Alltags- und Festtracht in Abhängigkeit vom Status ihrer Träger, aber auch zu der Organisation des Gemeinschaftslebens, festgelegt aufgrund Jahrhunderte alter bewährter Traditionen, gepflegt von den Nachbarschaften, den Schwester- und Bruderschaften, allesamt unter dem Mantel der evangelisch-lutherischen Kirche.

Aus diesem „Gesamtkonvolut" erst erschließt sich die Charakteristik einer ländlich-bäuerlichen Kultur und damit die Identität der sächsischen Dorfgemeinschaften. Die geschichtlichen Hintergründe zur Herausbildung dieser Identität werden in der Konrad Gündisch zu verdankenden historischen Einleitung prägnant und einfühlsam vermittelt. Die über Interviews aufgezeichneten Informationen der Gewährspersonen haben die Kronstädter Fachleute strukturiert und wissenschaftlich ausgewertet, ergänzt durch historische Fotos aus den Familienalben der Befragten, wodurch authentische Bilder aus vergangenen Zeiten des dörflichen Lebens vermittelt werden. Eine weitere Ergänzung bilden die Fachkommentare von Michael Markel, ehemals Deutschweißkirch, heute Nürnberg. Besonders hervorzuheben sind schließlich die für jedes Dorf ausgearbeiteten Glossare der verwendeten Fachausdrücke in der jeweiligen Mundart, in deutscher und rumänischer Sprache, die Horst Schuller, dem Autor der Übersetzungen, zu verdanken sind.

In Anbetracht der außerordentlichen Dichte und Fülle an Informationen, die das ganzheitliche Bild der siebenbürgisch-sächsischen bäuerlichen Kultur zeichnen, wäre das Buch durch die – durchaus wünschenswerte – Aufnahme weiterer Ortschaften wohl zu unhandlich geworden. So bleibt nur die Hoffnung, dass diesem ersten Band – als sinnvolle, ja notwendige Ergänzung zur Denkmaltopographie – alsbald weitere Bände der neuen Reihe folgen werden.

Christoph Machat

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