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„Blick hinter die Kulissen..." mit Helge von Bömches

12. August 2012

Sängererinnerungen aus erster Hand

Jeder überzeugte Opernfreund wird sich mindestens einmal gefragt haben, wie das Leben eines Sängers außerhalb des Bühnen-Glitzers aussieht? Wie eine Opernkarriere aufgebaut und vor allem erhalten wird? Inwiefern die vielen Opernklischees zutreffend sind? Mit geradezu überraschender Direktheit, schlicht und simpel, erzählt der Opern-, Oratorien- und Liedsänger Helge von Bömches seine Erfahrungen aus 45 Jahren Karriere im Scheinwerferlicht.

„Blick hinter die Kulissen oder Aus dem Tagebuch (m)eines Sängerlebens" heißt das Buch, das in Hermannstadt/Sibiu beim Hora Verlag erschienen ist. Wer sich davon erhofft, das geheime Rezept einer bemerkenswerten Laufbahn zu erfahren, wird nicht enttäuscht sein. Bei Helge von Bömches heißt das Geheimnis: hohe Ansprüche an sich selbst, keine Kompromisse, nie aufgeben, Kopf hoch, weiter geht's!

Der Bass, der später in Salzburg, Wien, Hamburg, Dublin, München oder Mailand auftreten sollte, ist 1933 in Kronstadt/Braşov geboren und hat seine musikalische Ausbildung bei Victor Bickerich, dem Kantor der Schwarzen Kirche, und bei dessen Ehegattin, der Sängerin Medi Fabritius begonnen.

Er erinnert sich, Professor Bickerich um Rat für den Sängerberuf gebeten zu haben. Die Antwort war: „Raten rate ich Ihnen, einen richtigen Beruf zu lernen. Sie ahnen ja nicht, wovon Ihr Leben als Sänger abhängt." Tatsächlich ahnte er es damals noch nicht, er entdeckte es aber nach und nach, und ließ sich von keinem Hindernis einschüchtern.

Nach seinem Debüt in der Schwarzen Kirche als Pilatus in der Matthäuspassion von Heinrich Schütz – Professor Bickerich hatte ihn dann doch dazu ermutigt – erhielt Helge von Bömches auch den Zuspruch seines Vaters, dem Traumberuf nachzugehen. „Was das in einer bürgerlich-sächsischen Familie in Siebenbürgen damals in den vierziger Jahren zu bedeuten hatte, versteht man heute wahrscheinlich nicht mehr", schreibt er in den Erinnerungen.

Bald sollte sich herausstellen, dass Musik nicht nur Spaß macht, sondern in dunklen Zeiten Hoffnung bringen kann. Die Familie wurde mit der Einstufung „unliebsame Elemente" zwangsversetzt, der angehende Sänger musste zunächst auf einer Baustelle arbeiten, sein Vater starb unter ungeklärten Umständen am Donau-Schwarzmeer Kanal.

Trotz allem setzte sich Helge Bömches (in dieser Zeitspanne ohne „von" zwischen Vor- und Nachname) bei einem Vorsingen für den Chor des Musiktheaters Kronstadt unter 45 Konkurrenten durch – „Ich hatte damals einfach keine Ahnung, aber dadurch auch keine Zweifel und Bedenken." Die Chance eines Studiums wurde ihm wegen seiner „ungesunden sozialen Herkunft" verweigert, er lernte aber unmittelbar auf der Bühne. Diese souveräne, proaktive Einstellung gegenüber jedweder Schwierigkeit sollte ihn auch später begleiten.

„Ich muss singen!"

Was folgte, war ein Aufstieg, der weder auf 'hochplatzierte Beziehungen', noch auf gut bezahlte Gesangstunden bei renommierten Lehrern basierte, sondern auf sehr viel Selbststudium und auf den simplen Rat des Sängerarztes „nicht zu hoch, zu laut und zu viel" zu singen. Auch seine Frau, die Sängerin Marina, geb. Panek, war für Helge von Bömches in all den Jahren eine „Beraterin und Lehrerin in Sachen Stimmführung". So gelang ihm Anfang der 1970er Jahre der Durchbruch an der Wiener Staatsoper und der Beginn der internationalen Karriere im Westen, wo er schließlich eine neue Heimat fand. Wie die internationale Karriere allerdings „hinter den Kulissen" aussah, erfährt der Leser „ohne Verzierungen und Ornamente".

Rein beruflich war es ein Dauerlauf, oft ein Nervenkrieg, mit unzähligen Vorsingen, die wunderbar liefen und selten ein Engagement brachten. „Ich könnte fast ein Buch allein über die Vorsingen schreiben", so der Autor. „Es war unwahrscheinlich, was ich da alles erleben durfte, und ich war manchmal nahe daran, alles aufzugeben und an eine andere Verdienstmöglichkeit zu denken."

Es gab sogar eine Zeitspanne ohne Engagement, wo er als Aushilfe beim Restaurieren von Wohnungen arbeitete, nach dem festen Plan: zuerst Stimmübungen, dann Tapeten entfernen. Was letztendlich zählte, waren die Stimmübungen, denn Helge von Bömches sollte mit den besten Musikern seiner Generation zusammenarbeiten – mit den Dirigenten Herbert von Karajan, Igor Markewitsch, Karl Böhm, James Levine und den Sängern Ion Piso, Nicolae Herlea, Viorica Cortez, Emilia Petrescu, Valentin Teodorian, Martha Kessler, Mirella Freni, Christa Ludwig, Ludovic Spiess, Ileana Cotrubaş, Peter Schreier, Katia Ricciarelli.

Die Musik sei „eine eifersüchtige Herrin" und fordere „ungeteilte Aufmerksamkeit," schreibt Helge von Bömches. Der Preis, der dem Publikum meist unbekannt bleibt, lautet „Erkältungskrankheiten, Stimmbandprobleme, Sich-schwach-Fühlen, Kopfweh", der Sänger ist auf lange Abschnitte seiner Karriere „Dauerpatient beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt". Je mehr Auftritte anstehen, desto mehr Konzentrationsvermögen und Ruhe ist gefragt und desto weniger Zeit bleibt für die Familie. Den Urlaub kann man von vorn herein vergessen – wenn die Saison gerade zu Ende ist, beginnt die Festspielzeit.

Die zahlreichen gesungenen Partien sind als Anhang zum Band zu lesen – in einer Tabelle in chronologischer Reihenfolge der Debüts. Helge von Bömches erzählt lebhaft, aus der Praxis heraus, mit viel Sinn für saftige Momente und lustige Anekdoten. Er öffnet sein Tagebuch für den Leser, sogar wenn es um Politisierung und Kommerzialisierung der Kunst geht. Er schreibt: „Kunst entsteht eher trotz Propaganda, trotz Aktionären." Sein Lerneifer, gepaart mit Humor und Neugier helfen ihm durch alle Mut-, Geduld- und Ausdauerproben. Das Fazit? „Ich habe es nicht bereut, dem weisen Rat meines geliebten und sehr verehrten Lehrers, Professor Victor Bickerich, nicht gefolgt zu sein und keinen 'richtigen' Beruf gelernt zu haben."

Von: Christine Chiriac

aus der ADZ vom Sonntag, 12. August 2012

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