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Transsylvanien und Gedanken

6. August 2010

Anmerkungen zu dem soeben erschienenen Buch von Bettina Schuller

<h4>von Hannelore Baier, ADZ vom 06.08.2010<h4>

„Die Kindheit", „Nachkriegszeit und Sozialismus", „Emigration". Sie kennzeichnen die Lebensabschnitte der meisten in Rumänien geborenen Deutschen. Unter diese Begriffe wurden nun Erzählungen, Fabeln und Betrachtungen von Bettina Schuller zusammengefasst, die in einem Sammelband unter dem Titel „Transsylvanien – Spielplatz der Gedanken" soeben im Schiller Verlag in Hermannstadt/Sibiu erschienen sind.

Von der heute in Bayern lebenden Autorin waren 1966 im Jugendverlag „Eine Mäusegeschichte" und 1969 im Kriterion Verlag Erzählungen unter dem Titel „Die tägliche Straße" erschienen. Bettina Schuller siedelte 1976 in die Bundesrepublik Deutschland aus. Texte aus ihrer Kurzprosa wurden 1988 in München gedruckt. Es war an der Zeit, ihre Kurzprosa mittels einer Buchveröffentlichung dem heutigen Leserpublikum ins Gedächtnis zu rufen.

Wie zu vermuten, wurden unter den drei eingangs genannten Übertitelungen Texte aus den drei Lebensetappen vereint. Werden sie in der abgedruckten Reihenfolge gelesen, erfährt man zunächst viel Persönliches aus der Kindheit der 1929 in Kronstadt/Brasov als Tochter einer Sängerin und eines Rechtsanwalts geborenen Autorin. Sie ist eine gute Beobachterin und vermag es wortgewandt die Befindlichkeiten heiter-locker zu schildern. In die Plaudereien werden Reflexionen eingeflochten. Besonders gelungen ist dies in den Schilderungen der Sommeraufenthalte in Mangea Punar, dem heutigen Costinesti. „Sehnsucht, ein Wort. Können Worte überhaupt das Unfassbare fassen?" fragt Bettina Schuller.

Nach den in Mangea Punar empfundenen „taufrischen Wahrnehmungen" ihrer Kindheit sehnt sie sich während eines Ferienaufenthaltes auf Kreta zurück. Dieser Ausschnitt aus dem in späteren Jahren verfassten Kreta-Tagebuch ist in diesen, der Kindheit gewidmeten Teil des Buches, aufgenommen. Von den in der Kindheit und Jugend gemachten Erfahrungen teilt uns die Autorin sorgenvolle – zum Beispiel die in letzter Minute verhinderte Pfändung des Hausrats der Großeltern, weil der Großvater ein lebensfremder Buchhändler war – und sorglose, wie beim Hüttenspiel am Königstein, mit.

„Die tägliche Straße" eröffnet den mittleren Teil der Anthologie. Die meisten dieser Texte schildern bittere Begebenheiten aus den Jahren des real existierenden Sozialismus, die die Autorin mit psychologischem Feingefühl schildert. Die Erniedrigungen beim Anstehen um Schweinefleisch kommen ebenso zur Sprache wie die folgenschwere illegale Abtreibung oder das Aufbewahren des aus Deutschland erhaltenen Kleides bis es aus der Mode und zu knapp ist.

In der „Emigration" beobachtet und beschreibt Bettina Schuller die ihr zunächst fremde Umgebung und vergleicht sie mit der gewohnten. Das gilt auch für die Sprache. „Allmählich gelang es mir, in den alten Sprachrastern auch dem Bild des neuen Landes Raum zu schaffen mit seinen Menschen, seinem Grundgesetz, der demokratischen Verfassung und ganz zuletzt sogar mit der hier üblichen Art des Grüßens ..." schreibt sie zum Thema Integration.

Die war eben geschafft, als in Rumänien die Revolution ausbricht. „Die Weltgeschichte rast. Rast in meiner Heimat: Und die Geschichte meiner Erinnerung rast mit in wildem Durcheinander." Auch sie kommt bald, wie die meisten der aus Rumänien Stammenden, um vor Ort die Veränderungen festzustellen. Und wundert sich über die undurchsichtigen Privatisierungsversuche, das im Fernsehen Ausgestrahlte, die Zustände im Hotel. Sie (die u.a. Tudor Arghezi ins Deutsche übertragen hat) freut sich, erneut Rumänisch zu sprechen. Jetzt zieht sie Vergleiche zwischen Deutschen und Rumänen. Mit Sympathie stellt sie bei jedem der Völker positive wie negative Seiten fest: „Bei den Deutschen standen in der Geschichte Wort und Tat mehr als einmal in gefährlicher Zusammengehörigkeit da, in einer Wechselwirkung, die wohl auch zu großer Kunst, aber auch zu Fanatismus und Maßlosigkeit, ja zum Verbrechen führte ... Bei den Rumänen liefen Wort und Tat schon immer lustig ungestört nebeneinander her, ohne Verzahnung und Zwang, ..."

Zwischen die drei Teile des Buches sind Zeichnungen von Helmut von Arz gesetzt. Über die Autorin selbst erfährt der Leser ganz wenige Daten, und die bloß vom hinteren Umschlag, aus einem Zitat eines von Hans Bergel zum 80. Geburtstag von Bettina Schuller in der „Siebenbürgischen Zeitung" veröffentlichten Beitrag. Sind biografische Notizen in der Zeit des Internets in Büchern nicht mehr notwendig? Für jene, die Google nicht zur Hand haben, wäre zu den oben eingereihten Angaben hinzuzufügen, dass sie Psychologie und Pädagogik studiert hatte und bis zur Übersiedlung als Lehrerin – mit Ausnahme von zwei Jahren, als sie Dramaturgin am Hermannstädter deutschen Theater war – gearbeitet hat.

Von den Herausgebern gut gemeint, aber zuweilen unnötig, vor allem aber inkonsequent betrieben, sind die Erläuterungen der in Siebenbürgen üblichen Ausdrücke und Redewendungen. Die mit Fußnoten versehenen Kletitten, Bizikel oder Gogoschar kennt Google, die nicht erläuterten „Finigodi" (Sofia-Taufpatin) oder „auf die Kratz gehen" allerdings nicht. Da bleibt den Gedanken Platz zum Spielen.

Bettina Schuller, Transsylvanien – Spielplatz der Gedanken. 173 Seiten, s/w Abbildungen, Schiller Verlag 2010, ISBN 978-3-941271-38-8

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